Saturnia - The Seance Tapes

Sitar, Theremin, Gong bei der Instrumentenaufzählung, Saturnia als Bandname, Titel wie "Mindrama" oder gar "The Twilight Bong" lassen kaum Zweifel aufkommen, um welche Art von Musik es geht: Musik, um auf die Reise zu gehen. Auf eine Kopfreise und da passt es, wenn der Promoter eröffnend schreibt:
»Ein sanfter Sog zieht Dich an.
Du siehst bunte Lichter und eine Musik packt Dich in Watte
Die Reise beginnt …«
Ein Reisebericht steht mir in Form des Reviews zum 2016er Album The Real High von Kollege Michael zur Verfügung und der bestätigt meine Eingangs getätigte Einschätzung zur Musik. Im Gegensatz zu "The Real High" ist Saturnia nun nicht mehr ein Ein-Mann-Projekt mit aushelfenden Musikern, sondern ein festes Trio geworden.
Exotisch, fernöstlich startet das Album und mäandert sofort in einen fließenden Rhythmus, der gefangen nimmt und der die Zeit anzuhalten scheint, bzw. der sie vergessen lässt. Elektronisch Erzeugtes erklingt und läutet "A Burnt Offering" ein, ein krautig, psychedelisches Kleinod, das an selige Pink Floyd-Zeiten erinnert und mit einem herrlichen, gedämpften Gitarrensolo in andere Welten entführt. Tribales Drumming und flirrende Keys, eingestreute experimentale Strukturen, dann wieder süßlich fließende Sequenzen, der "Infinite Chord" umspannt stilistisch wohl das Ansinnen Luís', der seine Musik frei von jeglicher Konvention einfach sprechen lassen will.
"I Am Utopia" wartet mit einem weiteren Bonbon auf, einer klasse, sich steigernden Orgeleskapade. Und diese eingebauten Schätze sind für mich das Salz in der Suppe. Luis' musikalischer Kosmos ist einer, der viele Orbits streift und völlig losgelöst von Konventionen wechselt er auch innerhalb der Tracks die Richtung. Da werden im scheinbar improvisierten Spiel urplötzlich und unerwartet geordnete und fast klassische Prog- und Psychedelic-Passagen eingebracht und man versinkt darin, auf diese Stellen zu warten.
Es mag sein, dass die einzelnen Alben des Protagonisten einem bestimmten Schema, bzw. einer Idee folgen. "The Seance Tapes" jedenfalls bietet die volle Bandbreite seines Schaffens, da es sich um eine Kollektion, ein Best-of handelt. Grund dieser Zusammenstellung ist die eingangs erwähnte Änderung hin zum festen dreiköpfigen Line-up. Inwieweit sich die beiden Neuen im Spiel von den Musikern auf den Originalen unterscheiden, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber, dass es bei dieser Art von Musik mehr auf die Komposition und das sich darauf einlassen ankommt.
Beachtlich ist die Fähigkeit, nach treibendem Spiel, repetitiver Rhythmik und fremdartigen Klängen, äußerst harmonische Sounds erklingen zu lassen. Das zarte, aber begeisternde Gitarrenspiel in "Gemini" zum Beispiel, die floydsche Landschaft, die sich über "Still Life" erstreckt oder das krautige Feld, auf dem die "Sunflower" in prächtigen Farben gedeiht. Fernöstlich, wie bei dem Tracknamen erwartet, dann "Twilight Bong". Zu hypnotisierender Percussion wabern die Keys mit dem Bong-Qualm um die Wette.
Sphärisch und fast breitwandig beendet "Cosmonication" diesen musikalischen Trip durch »eine Welt voller Farben und Formen«, wie Kollege Michael treffend schrieb. Und Recht hat er auch, wenn er sagt, »man muss aber dazu in Stimmung sein, um diese Reise mitzugehen«. Das muss man unbedingt, denn diese Art von Musik kann man nicht im Tagesgeschäft goutieren. Eigentlich sollte man sich darauf vorbereiten. Wie man das auch bei jeder normalen Reise tut. Bei Saturnia muss man jedoch nicht mal das Haus verlassen. Licht dimmen, Sessel mit ein paar Kissen bestücken, den Kopfhörer einstöpseln und natürlich den bevorzugten Reiseproviant parat halten …

Ulli Heise Rocktimes 8-6-2018